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«Es würde der Gesellschaft guttun, nicht ständig weiter hetzen zu müssen»

Evelyn Borer: Mich hat es beeindruckt, wie die Kirchgemeinden Neues in dieser Zeit ausprobierten | Foto: TZ

Im Januar hat Evelyn Borer ihr Amt als Synodalratspräsidentin der Kirche Solothurn angetreten. Schon nach drei Monaten kam Covid-19. Evelyn Borer über die gottesdienstfreie Zeit und die digitale Chance für die Kirche.

25.06.2020 | Tilmann Zuber im Interview mit Synodalratspräsidentin Evelyn Borer

Evelyn Borer, wie haben Sie die Zeit des Shutdowns erlebt?
Es war eine spezielle Situation, die unsere Flexibilität und Kreativität herausforderte. Ich war gerade daran, mich in die Geschäfte der Kantonalkirche einzuarbeiten und musste plötzlich Antworten auf all die Fragen liefern. Und andere zu treffen, war plötzlich nicht mehr möglich.

Auch das kirchliche Leben wurde heruntergefahren. Wie erlebten Sie die gottesdienstfreie Zeit?
Meine erste Reaktion war, man kann doch nicht die Gottesdienste verbieten, gerade jetzt braucht es die Kirche. Angesichts der Gefahr der Ansteckung war die Schliessung der Gottesdienste ein logischer Schritt. Als man sich darauf eingestellt hatte, war es gut. Ich muss aber zugeben, die sonntägliche Begegnung mit anderen Menschen fehlte mir. Es war wichtig, dass die Kirchen in dieser Zeit für die Einkehr und das Gebet offen blieben.

Fühlten Sie sich vom Bund genügend unterstützt?
Ja. Die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz und die Berner Kirche lieferten rasch gute Informationen, von denen wir profitieren konnten. Ich fühlte mich gut unterstützt, gerade auch bei der Frage, was mit Ostern und Auffahrt geschieht.

Statt untätig zu sein, verlegten viele Kirchgemeinden ihre Gottesdienste und Veranstaltungen ins Web. Sie haben sich sicher einige der Beiträge angesehen.
Angeschaut und mitgemacht. Mich hat es beeindruckt, wie die Kirchgemeinden nicht in der Schockstarre verharrten, sondern Neues ausprobierten. Das brauchte Mut, man musste die anfänglichen Hemmungen überwinden.

Wie geht es weiter?
Jetzt stehen wir vor der Frage, was wir fortsetzen wollen. Die Corona- Zeit gab uns die Chance, Neues auszuprobieren. Die Digitalisierung hätten wir ansonsten noch Jahre vor uns hergeschoben. In der heutigen Gesellschaft muss die Kirche die Menschen auf verschiedenen Wegen erreichen.

Setzen die Kirchgemeinden weiterhin auf digitale Angebote?
Wir haben entsprechende Rückmeldungen erhalten. Teils verzeichneten die YouTube-Filme und Podcasts mehr Beachtung als der sonntägliche Gottesdienst. Wenn wir so andere und mehr Leute erreichen, dann sollte man dies unbedingt fortsetzen. Jedoch nicht als Konkurrenz zum Gottesdienst. Ich erlebe bei meinem Enkel, wie selbstverständlich er mit den digitalen Medien aufwächst. Das ist das heutige Leben, auf das auch die Kirche reagieren sollte.

In diesen Tagen organisierten verschiedene Kirchgemeinden die Nachbarschaftshilfe.
Ja, ich möchte den Kirchgemeinden für ihre tolle Arbeit danken, die sie in dieser Zeit geleistet haben. Das hat mich beeindruckt. Als Kirche sind wir nahe bei den Menschen, viele sind bereit zu helfen. Die Kirchgemeinden sollten auch in Zukunft als Basis und Drehscheibe für solche Projekte dienen. Die Kirche muss auf die Leute zugehen. Wir können nicht warten, bis diese zu uns kommen.

Ich hatte den Eindruck, dass die Leute die Angebote der Kirchgemeinden schätzen.
Ja, unbedingt.

Auf Pfingsten hat der Bundesrat die Gottesdienste wieder erlaubt. War dies der richtige Zeitpunkt?
Ja und nein. Viele drängten auf die Öffnung der Gottesdienste. Es ist sicher gut, wenn man den Sonntagsgottesdienst wieder besuchen kann. Doch jetzt stellt sich trotz all der Sicherheitsmassnahmen die Frage, trauen sich die Besucher in die Kirche? Begegnungen fanden auch anderswo statt. Die reformierte Kirche Dornach veranstaltete erstmals ein Osterfeuer, zu dem sich Leute gesellten, die man ansonsten nicht in der Kirche sieht. Und sie fanden den Anlass toll.

Bis auf Weiteres gibt es kein Abendmahl. Wann darf man wieder mit Brot und Wein feiern?
Ich hoffe, nach den Sommerferien. Beim Abendmahl sind viele zurückhaltend, schon in den Zeiten vor Covid- 19 griffen etliche zum Einzelbecher. Diese Zurückhaltung wird durch das Virus bestärkt und zunehmen. Das ist schade, denn beim Abendmahl erlebt man das Verbindende.

Wie wird die Corona-Krise unsere Gesellschaft verändern?
Diese Frage wird vielerorts diskutiert. Ich glaube, es gibt eine Veränderung. Ein Teil der Bevölkerung will so rasch wie möglich in den alten Rhythmus und in ihr normales Leben zurückkehren. Ein anderer Teil will etwa die Entschleunigung aus dieser Zeit mitnehmen. Es würde der Gesellschaft sehr guttun, wenn wir nicht ständig schneller und weiter hetzen müssten und einen achtsameren Umgang pflegen würden.

Und wie wird sich die reformierte Kirche verändern?
Das ist eine schwierige Frage. Die reformierte Kirche ist ja per se aufgefordert, sich ständig zu erneuern. Das steckt im Reformiertsein. Auf der schweizerischen Ebene beschäftigt sich die Kirche gerne mit sich selbst. Da müssen wir zu einer neuen Art von Kommunikation, Transparenz und Umgang mit der Macht finden. Wir sollten uns nicht zu sehr um uns selber drehen, sondern zu den Menschen gehen, sie einbeziehen und die Themen, die die Gesellschaft bewegen, aufgreifen.

Welche Aufgaben kommen auf den Synodalrat zu?
Ich bin noch daran, mich einzuarbeiten. Nach den ersten zwei Sitzungen kam der Shutdown. Thema ist sicher der neue Finanzausgleich. Hier sind wir gefordert, zu zeigen, was die Kirche der Gesellschaft bietet. Weiterhin werden uns die schwindenden Finanzen beschäftigen und damit die Frage, wo wir die Prioritäten setzen wollen. Ein Problem ist auch, dass es immer schwieriger wird, Leute zu finden, die in den Behörden mitarbeiten.

Interview: Tilmann Zuber